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Jeder noch so starke Wille kann einmal schlapp machen. Das liegt an den Angriffen der „Willensfresser“ im Alltag, denen er permanent ausgesetzt ist. Wer also willensstark bleiben will, sollte sie in die Schranken weisen.

 

Der Wille kann Berge versetzen, heißt es. Dem ist sicher so. Aber wer einen Berg versetzt hat, wird sich danach wohl kaum mehr so fit und munter fühlen wie zuvor. Tatsächlich zeigen Alltagsbeobachtungen, dass Menschen zwar immer wieder mit starkem Willen an Aufgaben herantreten, ihr Wille aber dann doch irgendwann schlappmacht. Die Diät wird abgebrochen, das Fitnessprogramm immer seltener eingehalten, die Disziplin beim Einhalten der Zeitmanagement-Regeln lässt immer mehr nach… Fast jeder hat schon solche oder ähnliche Erfahrungen mit dem Verlauf von ehemals motiviert angegangenen Zielen gemacht. Als Grund machen die meisten dann ihre mangelnde Willensstärke dafür verantwortlich.

Fast immer hat dieses Scheitern mit der Frage zu tun: Jetzt oder später genießen? Meist drängt es uns, sofort zu genießen und nicht erst später. Und das ist fatal. Denn regelmäßig sehen wir uns mit der Herausforderung konfrontiert, nicht das zu tun, wozu uns unser erster Impuls treibt, sondern das, was uns langfristig nach vorne bringt, auch wenn es im ersten Moment anstrengender ist.

 

Wir benötigen Willenskraft aber nicht nur, um große Ziele zu erreichen, sondern auch, um die vielen kleinen täglichen Herausforderungen in Bezug auf die „richtigen“ Entscheidungen zu meistern:

  • Drücke ich am Morgen noch zwei Mal die Schlummertaste an meinem Wecker – oder stehe ich gleich auf?
  • Schaue ich morgens im Büro erst im Internet, was sich so getan hat – oder beginne ich den Arbeitstag mit der Projektkonzeption, die am Abend fertig sein muss?
  • Mache ich es mir auf dem Sofa gemütlich – oder ziehe ich meine Turnschuhe an und gehe eine Runde laufen?

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Im Grunde wissen wir haargenau, wie wir all dies eigentlich zu entscheiden hätten. Die Betonung liegt auf „eigentlich“ und auf „hätten.“ Fatal nur, dass die Alternativen unglaublich viel angenehmer, einfacher, bequemer, glücklich machender anmuten. Damit stecken wir mitten drin im Jetzt-oder-später?-Genuss-Dilemma: Soll ich jetzt sofort das Leben genießen und mich gut fühlen? Oder muss ich mich erst einmal anstrengen, quälen, auf etwas verzichten, nur um irgendwann in der Zukunft gesünder, glücklicher, liebenswerter zu sein?

 

Let's do this

 

Psychologe Roy Baumeister gehört zu den prominentesten Forschern in Sachen Willensstärke. Er hat in zahllosen Experimenten seine Probanden nicht nur mit Naschereien in Versuchung geführt, sondern auch mit Ablenkungen, Druck, Lob, Belohnungen und anderem mehr. Immer zeigte sich: Je öfter Willensstärke gebraucht wurde, um bei diesen Versuchungen standhaft zu bleiben, desto eher wurde sie schwach.

Daraus kann man die Erkenntnis ziehen, dass sich jede Handlung, die Willenskraft erforderlich macht, aus derselben Quelle bedient. Jedes Mal, wenn Sie standhaft bleiben, entnehmen Sie etwas mehr aus dieser Quelle. Mit anderen Worten: Ganz egal, ob jemand große Entscheidungen für die Zukunft seines Unternehmens trifft, auf die Schokolade verzichtet oder den Ärger über einen Stau hinunterschluckt – all dieses zehrt an seiner Willenskraft.

Je häufiger wir mit Entscheidungen dieser Art konfrontiert sind, desto häufiger müssen wir sie per Willensstärke abwehren. Anders formuliert: Je weniger wir uns Verlockungen und oberflächlichen Glücksversprechungen aussetzen, desto mehr Willensenergie sparen wir und desto länger bleibt unsere Ressource „Wille“ stark. Also meiden Sie alles, was Ihre Willenskraft unnötig beansprucht und damit schwächt. Meiden Sie „Willensfresser“!

 

Das widerspricht aber leider vollkommen der modernen Wirtschafts- und Lebensweise und stellt uns deshalb vor eine immense Anzahl täglicher Willenskraft-Herausforderungen:

Nach Schätzungen vieler Experten sind wir täglich zwischen 2.500 bis weit über 10.000 Werbebotschaften ausgesetzt. Der schier endlose Strom an Kauf-Mich-, Probier-Mich-, Genieß-Mich- Aufforderungen zapft über den Tag hinweg unsere Willensenergie ab. Schwer, dem zu widerstehen, und schwer, sich dem zu entziehen. Aber nicht unmöglich. Probieren Sie folgendes aus:

 

  • Genießen Sie morgens die Ruhe, anstatt sich schon früh von aufgeregten Menschen im Radio Werbebotschaften zurufen zu lassen. Man lernt es schnell zu schätzen.
  • Vermeiden Sie tagsüber eine ständige Hintergrundbeschallung. Auch wenn Sie sie nicht mehr bewusst wahrnehmen, hat das Gehirn gehörig damit zu tun, alle Töne zu verarbeiten und zu prüfen: wichtig oder unwichtig? Sollen sie ins Bewusstsein vordringen oder als unwichtig verworfen werden? Eine Kette unbewusster, aber kräftezehrender Willensentscheidungen …
  • Schalten Sie ruhig auch mal die Benachrichtigungstöne ab, die Sie sofort über neue Mails, SMS und dergleichen auf dem Mobiltelefon unterrichten. Alles kleine Willensenergie-Diebe, da Sie jedes Mal entscheiden müssen: Schaue ich schnell nach oder konzentriere ich mich weiter auf meine Arbeit? Und wenn Sie mal „schnell“ nachschauen, geht die Entscheiderei ja noch weiter: Schicke ich gleich eine Antwort oder später? Muss ich eine Erinnerungsnotiz machen? Wohin schreibe ich die?
  • Prüfen Sie, was Sie lesen. Gibt es sehr viel, das um Ihre Aufmerksamkeit buhlt, worauf Sie aber verzichten können? Fragen Sie sich, bevor Sie die ganzen Newsletter und Werbe-Mails lesen: Brauche ich gerade etwas Bestimmtes? Wenn nicht, löschen Sie die Botschaft ungesehen. Sie werden Zeit gewinnen, müssen keine Entscheidung treffen und sparen sogar noch Geld!
  • Und was ist mit den vielen Werbebriefen? Auch hier hilft die schlichte Frage: Brauche ich gerade etwas? Falls nein, machen Sie es wie mit der E-Post: Lassen Sie sie ungelesen im Papierkorb verschwinden.

 

Sicher finden Sie selbst noch Einiges, das an Ihrer Willenskraft zehrt und das Sie leicht aus dem Leben verbannen können. Sie können sogar einen regelrechten Sport daraus machen und sich immer wieder darüber freuen, etwas zu entdecken, von dem Sie sich befreien können.

 


Gastautor Peter Gerst

PeterGerst_hoch_HintergrundGrau_skaliertist der Entwickler des 360° Überzeugungskraft-Training. „Wie kann man Menschen bewegen? Wie kann man sie begeistern, motivieren und  überzeugen?“

Der Keynote Speaker, Trainer und DIN-zertifizierte Business Coach schöpft bei diesen Fragen aus seinen Erfahrungen als PR- und Marketingberater, Rundfunk-Journalist, Moderator, Schauspieler, Regisseur, Vertriebs- und Personalleiter. Zusammen mit Trainer-Kollegen Reinhold Stritzelberger hat er die Erkenntnisse zur Willensstärke in Buchform gebracht: Willensstärke: Energien freisetzen und Ziele erreichen. peter-gerst.de/willensstaerke